Mittwoch, den 04.01.2023
Claudia und Andreas verbrachten den Jahreswechsel auf der zwei westlichsten Kanareninsel La Palma. Für Andreas war es bereits der dritte Aufenthalt auf „Isla bonita“ im Nordatlantik. La Palma wurde zu Recht als die steilste Insel der Welt bezeichnet, egal aus welcher Himmelsrichtung man sie betrachtete (es lagen sogar wissenschaftliche Untersuchungen zum Steilheitsgrad vor). Entstanden ist die zweithöchste Kanareninsel durch den Einbruch (Implosion) eines noch größeren Riesenvulkans vor ca. 500.000 Jahren, von dem nur noch ein Caldera (Vulkankessel) mit einem schmalen Kraterrand übriggeblieben ist. Auf dem schmalen Grat fand man auch den höchsten Punkt der Insel Roque de los Muchachos mit 2426 Metern, der auch mit dem Rad angefahren werden konnte. Weitere Highlight waren die dichten subtropischen Regenwälder, unzählige Wasserfälle, der Vulkan Cumbre Vieja (Ausbruch 2021), viele weitere, „neue“ Vulkane, ausgedehnte Lavafelder und die Pinienwälder.
Bei der Wahl des richtigen Sportgeräts gibt es generell nur zwei richtige Radtypen auf den Kanarischen Inseln: entweder das Mountainbike oder das Gravel- oder Cyclocrossrad. Da man mit einem Rennrad viele Sehenswürdigkeiten nicht anfahren kann und außerdem auf die Teerstraßen angewiesen ist, sollte man auf diesen Radtypen möglichst verzichten. Claudia nutzte auf La Palma ein Leih-Mountainbike, Andreas sein eigenes Cyclocrossrad mit einem individuellen und sehr speziellen Setup. Der Radtransport im Flugzeug mit eigenem Bikecase war Routine und verlief ohne Probleme. Bei Radtouren auf den Kanaren sollte man ein besonderes Augenmerk auf Gewicht, Übersetzung und Reifenwahl haben, da Steigungen, Wegbeschaffenheit und Klima sehr abwechslungsreich und fordernd sein können. Darüber hinaus musste man über gute Fahrtechnik im Gelände verfügen, weil auf den unbefestigten Wegen immer mit Tiefsand, Schotter, Geröll und Asche (Lapilli) zu rechnen war.
Claudia und Andreas nutzen oft ihr Hotel als Startpunkt für die Radtouren, doch ein zusätzlicher Leihwagen mit Fahrradträger ermöglichte beiden Sportlern eine gewisse Flexibilität bei der Streckenplanung. Fast alle Touren waren mit einem oder mehreren der oben genannten Highlight gespickt, sodass nie Langeweile aufkam.
Besonders hervorzuheben waren folgende Touren:
1. Die alte, geteerte Landstraße zwischen Barlovento und Roque del Faro. Diese Straße war noch ein Geheimtipp, kaum befahren und führt durch vier Tunnel und den dichten subtropischen Regenwald im Norden. Nicht selten ragten neben der Straße die Steilwände mehrere hundert Meter in die Höhe oder in die Tiefe.
2. Die Königsetappe von der Inselhauptstadt Santa Cruz zum höchsten Punkt Roque de los Muchachos. Die Tour hatte einen Anstieg von ca. 45 Kilometern mit über 2800 Höhenmetern. Die Radler fuhren von der Hauptstadt innerhalb von wenigen Kilometern durch einige Klimazonen (steppenartige Wüste, dichter subtropischer Regenwald, alpiner Pinienwald und schließlich Baumgrenze). Highlights auf dieser Tour waren die Caldera, die Roque de los Muchachos und die Observatorien am Gipfel.
3. Der kurze und knackige Anstieg zum Wasserfall Los Tilos im gleichnamigen Nationalpark. Die längste und höchste Brücke Spaniens und der dichte Wald mit den Steilwänden war sehr beeindruckend. Der Höhepunkt war natürlich der 20 Meter hohe Wasserfall von Los Tilos.
4. Rundkurs um die Vulkankegel im Südwesten. Die Tour führte durchweg auf Schotterwegen durch den Pinienwald, nur unterbrochen durch die Vulkane und deren Aschefelder. Am Ende gab es auch noch einen beeindruckenden Blick auf den „neuen“, rauchenden Vulkan Cumbre Vieja.
Es gab auf dieser Insel nur wenige ausländische Radsportler, da sich scheinbar niemand „diesen“ Steigungen unterwerfen wollte. Wer hier „flach“ fahren wollte, musste trotzdem mit minimal 1000 Höhenmeter auf einer kleinen Cross-/ Graveltour rechnen. Die Steigungen betrugen in der Regel acht bis zwölf Prozent, kurzzeitig waren weit über 20 Prozent nicht selten. Die Landstraßen schlängelten sich meist mit „humanen“ Steigungen durch den Wald, extremer wird es bei abzweigenden Ortsdurchfahrten und unbefestigten Schotterpisten den Berg hinauf. Wer diese mit dem Rad befuhr, bekam nicht selten Applaus und bewundernde Blicke von einheimischen Passanten und Autofahrern. Eine sehr gute Übersetzung und Kondition waren darum eine Grundvoraussetzung für entspanntes Radeln. Einheimische Radsportler sah man nur am Wochenende auf leichten Rennrädern und fast nur auf der „Flachetappe“ Santa Cruz nach Fuencaliente und zurück. Um die Sicherheit bei den Abfahrten zu gewährleisten, musste man mehrmals täglich die Bremsen optisch kontrollieren. Bei den Abfahrten verfärbten sich die Bremsscheiben in allen Farben und die Beläge rochen nach dem üblichen, warmen Bremsgeruch.
Der Autoverkehr war vergleichbar mit Fuerteventura und damit äußerst gering, mit Ausnahme der Inselhauptstadt Santa Cruz. Auf den Passstraßen traf man zum Teil über 20 Minuten auf kein Fahrzeug (erstaunlich trotz der zahlreichen Touristen).
La Palma zeichnete sich durch außergewöhnliche Natur, tolle Aussichten, geile Anstiege und Abfahrten bei den Radsportlern aus. Kaum eine andere Insel kann so sehr beeindrucken.
Bericht: Andreas Broschinski